aus "Der große Brockhaus in 20 Bänden, Band 20 Wa-Zz, 1935"
Eine Eisenbahn, bei der zwischen den beiden Fahrschienen noch eine dritte, mit Zähnen versehene Schiene eingefügt ist, in die ein Zahnrad der Lokomotive eingreift. Diese kann so eine weit größere Zugkraft ausüben, als wenn nur die Reibung ausgenutzt würde.
Technische Ausgestaltung. Zahnradbahnen werden dann angewandt, wenn die Steigung der Strecke so groß wird, daß das Reibungsgewicht der Lokomotive nicht mehr ausreicht, um den Zug vorwärtszubewegen. In Deutschland liegt die Grenze bei Steigungen über 1:16 (=6,7 %), d.h. bei Bahnen, bei denen die Strecke um 67 m auf 1000 m ansteigt. Man unterscheidet reine Zahnradbahnen, d.h. solche, die auf der ganzen Betriebsstrecke eine Zahnstange besitzen, und gemischte Zahnrad- und Reibungsbahnen, bei denen nur einzelne küere Strecken mit einer Zahnstange versehen sind. Reine Zahnradbahnen kommen als Bergbahnen vor, d.h. dort, wo sehr steile Gipfel zu erklimmen sind. Gemischte Zahnradbahnen finden sich im Zuge durchgehender Bahnstrecken, z.B. bei der Transandenbahn, die Argentinien mit Chile verbindet.
Die Zahnstange muß wegen des starken Schubes kräftig verankert werden. Sie besteht entweder aus 2 L- oder U-Eisen, in welche die Zähne als Sprossen eingesetzt sind (Bauart Riggenbach), oder aus 2-3 nebeneinander aufgestellten und versetzt angeordneten Zahnstangen, in die 2-3 Zahnräder eingreifen (Bauart Abt), oder aus einer Art Breitfußschiene mit bef. hohem Kopf, in den die Zähne eingefräst sind (Bauart Strub). Bei sehr starken Steigungen besteht die Gefahr, daß die Lokomotive durch das Zahnrad von der Zahnstange abgedrückt wird. Dieser Nachteil wird bei dem System Locher dadurch vermieden, daß hier eine Zahnstange mit beiderseits waagerecht leigenden Zähnen verwendet wird, in die zwei Zahnräder von den beiden Seiten her eingreifen.
Die Lokomotiven besitzen in jedem Falle ein unter der Kesselachse liegendes Zahnrad, das in die Zahnstange eingreift und durch den Kolben und die Pleulstange unter Vermittlung einer Zahnradübersetzung angetrieben wird. Entsprechend der bauart der Bahnen unterscheidet man Lokomotiven für reinen Zahnradbetrieb und solche für gemischten Betrieb. Erstere können sich nur mit Hilfe des Zahnradtriebwerkes fortbewegen; die auf den Reibungsschienen laufenden Räder dienen nur als Laufräder. Doch ist oft eine einrückbare Kupplung zwischen dem Zahnradtriebwerk und einer Laufachse vorgesehen, um eine Fortbewegung auf kurzen Reibungsstrecken, z.B. im Schuppen, mit eigener Kraft zu ermöglichen. Die Kesselachse wird stets so angeordnet, daß der Kessel auf der Steigung ungefähr waagerecht liegt. Lokomotiven für gemischten Betrieb erhalten nach Vorschlägen von Abt zwei Triebwerke: ein außenliegendes in normaler Anordnung zum Antrieb der Reibräder und ein zweites für den Antrieb der Zahnräder. Dieses lag früher meist; heute ordnet man die Dampfzylinder dieses Triebwerkes meist außen über denen des Reibungstriebwerkes an und schaltet in das Zahnradtriebwerk eine Übersetzung von etwa 1:2 ein, so daß beide Triebwerke in Verbundwirkung arbeiten können. Auf den Reibungsstrecken arbeitet dann nur das Reibungstriebwerk mit einfacher Dampfdehnung, auf Zahnradstrecken beide Triebwerke in Verbundwirkung.
Die Personenwagen für reinen Zahnradbetrieb erhalten einen der Steigung der betreffenden Bahn entsprechenden stufenfömigen Aufbau der Abteile. Die Wagen der gemischten Bahnen sind in normaler Weise gebaut. Bei reinen Zahnradbahnen wird die Lokomotive stets talwärts angeordnet. Beim Emporfahren schiebt sie den Zug; bei der Talfahrt werden die Wagen gehemmt. Auf gemischten Bahnen werden die Wagen teils geschoben, teils gezogen. Die Geschwindigkeit beträgt bei den reinen Zahnradbahnen etwa 6-10 km/h, auf den Bahnstrecken gemischter Bahnen etwa das Doppelte.
Geschichtliches. Die erste wirklich brauchbare Zahnradbahn wurde 1866 von Marsh in Amerika ausgeführt; sie führt auf den berühmten Aussichtspunkt Mount Washington in den Weißen Bergen. In Europa wurde die erste Zahnradbahn 1871 von dem Schweizer Riggenbach gebaut; es ist die Bahn Vitznau-Rigi. Die Zahnradbahn mit der größten Steigung ist die Pilatusbahn (Schweiz); sie wurde 1889 von Locher erbaut und überwindet eine Steigung von 48 % (=480 m auf 1000 m). Die erste Zahnradbahn mit elektrischem Betrieb ist die Zahnradbahn auf den Mont Salève bei Genf. Von deutschen Zahnradbahnen sei genannt die Bahn Blankenburg-Tanne (Harz, eröffnet 1884, größte Steigung 6 %).
v. Röll: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Bd. 10 (2. Aufl. 1923); Eisenbahntechnik der Gegenwart, Hg. v. Barthausen, Blum, Borries u.a., Bd. 4 (1905-07).